Yoga und die Liebscher-Bracht Methode – Der Kiefer –
Narasimha ist eine inkarnierte Form des Gottes Vishnu, die eine Mischung aus Mensch und Löwe ist. Eine Geschichte handelt vom Dämonenkönig Hiranyakashipu, der unbesiegbar wurde und die Herrschaft über die Welt anstrebte. Hiranyakashipu erhielt durch intensive spirituelle Übungen von Gott Brahma die Segnung, dass er weder von Menschen noch Tieren getötet werden könne, weder bei Tag noch bei Nacht, weder drinnen noch draußen, und weder durch Waffen noch durch magische Mittel.
Bald darauf begann Hiranyakashipu, die Welt zu tyrannisieren und die Götter zu unterdrücken. Sein Sohn Prahlad hingegen war ein glühender Verehrer von Vishnu. Trotz wiederholter Drohungen und Misshandlungen durch seinen Vater weigerte sich Prahlad, Vishnu zu verleugnen.
Hiranyakashipu wurde schließlich wütend und forderte Prahlad heraus, zu beweisen, dass Vishnu überall sei, sogar in den Wänden des Palastes. Prahlad war sich sicher, dass Vishnu tatsächlich überall sei, auch in den Wänden. In einem Anflug von Wut wollte Hiranyakashipu auf seinen Sohn einschlagen, und plötzlich erschien Narasimha, eine göttliche Kreatur, halb Mensch, halb Löwe.
Und genau wie prophezeit, wurde Hiranyakashipu von Vishnu in der Form des Narasimha besiegt.
Die Geschichte symbolisiert den Triumph des Göttlichen über das Dämonische, die Unbesiegbarkeit des Göttlichen Plans und die bedingungslose Hingabe an Vishnu, selbst inmitten der größten Widrigkeiten. Aber ganz genau so auch auf der persönlichen Ebene, wenn du deine Schattenthemen bearbeitest, hast du auch den Mut eines Löwen dich diesen zu stellen, sie anzuschauen und besiegst den Dämonen.
In der indischen Kultur und Mythologie hat der Löwe eine tiefgehende symbolische Bedeutung. Der Löwe, oft als Simha oder Singh bezeichnet, ist ein Symbol für Macht, Stärke, Mut und Königlichkeit. Die Bezeichnung „Singh“ wird oft als Nachname verwendet, insbesondere in der Sikh-Community, um Stärke und Adel zu symbolisieren. Löwenskulpturen sind ein häufiger Bestandteil der indischen Tempelarchitektur. Sie finden sich an den Eingängen von Tempeln und Palästen als Wächterfiguren, die Schutz und Stärke symbolisieren. Im Tantra, einer spirituellen Praxis innerhalb des Hinduismus, repräsentiert der Löwe auch die Energie und Kraft, die im Muladhara Chakra (Wurzelchakra) ruht. Das Erwachen dieser Energie wird oft mit der Entfesselung der inneren Stärke und des Mutes in Verbindung gebracht.
Um diese Qualitäten im menschlichen Körper zu manifestieren, gibt es eine kraftvolle Yogaübung. Als ich diese Übung vor fast 3 Jahrzehnten in meinem ersten Yogakurs kennenlernte, empfand ich das als äußerst unangenehm und es kostete mich so viel Überwindung mitzumachen. Alle anderen TeilnehmerInnen hatten da anscheinend keine Scheu, denn sie waren schon länger im Kurs. Also los, ich machte mit, und siehe da, es ging, und war auch noch angenehm. Ich musste lachen! Ein befreiendes und heiteres Gute-Laune-Gefühl stieg in mir auf!
Die Yoga-Übung – Der Löwe: Simhāsana (सिंहासन)
- Setze dich auf die Fersen, sodass die Knie leicht auseinander sind.
- Platziere die Hände auf den Knien, die Finger weit gespreizt.
- Lehne dich leicht nach vorne, wobei die Wirbelsäule gerade bleibt.
- Spreize die Finger weit und drücke die Handflächen fest auf die Knie, als ob du dich von den Knien abdrücken möchtest.
- Öffne den Mund weit und strecke die Zunge so weit wie möglich nach unten und nach außen.
- Fixiere den Blick auf die Nasenspitze oder auf einen Punkt zwischen den Augenbrauen (Ajna Chakra).
- Atme tief durch die Nase ein.
- Beim Ausatmen durch den Mund, mache ein kraftvolles „Ha“-Geräusch aus dem Rachen, ähnlich einem Löwen, der brüllt.
- Wiederhole diesen Atemzyklus mehrmals, wobei du jedes Mal tief einatmest und mit einem kräftigen „Ha“-Klang ausatmest.
- Halte die Pose für einige Sekunden oder solange es angenehm ist.
- Löse die Haltung und kehre zur Ausgangsposition zurück.
- Wiederhole die Übung 2-3 Mal.
Wie geht es dir mit dieser Übung?
Was nimmst du wahr?
In den alten Schriften wie Hatha Yoga Pradipika, Gheranda Samhita und Yoga Rahasya von Nathamuni werden folgende mögliche Wirkungen von Simhāsana beschrieben
Körperliche Wirkungen:
Stärkt die Stimmbänder und den Hals: Durch das Öffnen des Mundes und das kraftvolle Ausatmen werden die Muskeln im Gesicht, Rachen und Halsbereich gekräftigt.
Fördert die Durchblutung des Gesichts: Die Übung fördert eine bessere Durchblutung des Gesichts, was zu einem strahlenderen Teint führen kann.
Entlastet Verspannungen: Simhasana hilft, Spannungen im Gesicht und im Hals zu lösen, was bei Kieferproblemen und Spannungskopfschmerzen hilfreich sein kann.
Energetische Wirkungen:
Aktiviert das Vishuddha-Chakra: Das fünfte Chakra, auch Halschakra genannt, wird durch diese Übung aktiviert und gereinigt. Dies fördert die Kommunikation und Ausdrucksfähigkeit.
Stimuliert das Manipura-Chakra: Das dritte Chakra, auch Solarplexuschakra genannt, wird durch die kraftvolle Haltung und den mutigen Ausdruck gestärkt, was das Selbstbewusstsein und die innere Stärke fördert.
Emotionale und psychische Wirkungen:
Fördert Mut und Selbstvertrauen: Indem man die Haltung und den Klang eines Löwen annimmt, kann man innere Stärke und Selbstvertrauen entwickeln.
Löst emotionale Spannungen: Die Übung hilft, aufgestaute Emotionen und Spannungen freizusetzen, was zu einer inneren Befreiung und Entspannung führt.
Reduziert Stress: Durch das bewusste Ausatmen und den kraftvollen Klang werden Stresshormone abgebaut, was zu einer allgemeinen Beruhigung des Nervensystems führt.
Der Löwe als Symbol
Der Löwe, der Löwenkopf und auch seine Tatzen haben eine lange und facettenreiche Geschichte auch in der europäischen Kultur, die durch verschiedene Einflüsse und Epochen geprägt wurden. Der Löwe spielte eine bedeutende Rolle in der griechischen Mythologie, insbesondere in den Geschichten um Herakles (Herkules). Die Römer übernahmen viele Symbole und Mythen der Griechen. Der Löwe wurde oft in römischen Mosaiken, Skulpturen und Gebäuden dargestellt. In der römischen Kultur symbolisierte der Löwe Stärke, Mut und Kaiserlichkeit. Der Löwe wurde im Mittelalter ein starkes christliches Symbol.
Der Löwe von Juda aus der Bibel wurde oft als Symbol für Jesus Christus interpretiert. Im Mittelalter wurde der Löwe in der Heraldik weit verbreitet. Viele europäische Adelshäuser und Königreiche nutzten den Löwen in ihren Wappen und Bannern, um Macht, Tapferkeit und Noblesse zu symbolisieren. Während der Renaissance, einer Zeit des erneuten Interesses an der Antike und ihren Symbolen, wurde der Löwe weiterhin in der Kunst und Architektur verwendet. Der Löwe blieb auch ein beliebtes Motiv in der europäischen Literatur und Kunst.
Was fühlst du, wenn du deinen Mund fest schließt und die Zähne aufeinander beißt?
Verbissenheit? Anspannung? Konflikt? Ärger? Frisst du etwas in dich hinein? Sprichst du etwas nicht aus? Was willst du fest halten, anstatt loszulassen?
Unser Körper kompensiert oftmals unbewusst all dies durch Zähne zusammen beißen und Knirschen. Es heißt ja auch: „Zähne zusammen beißen und durch!!!“ oder „Da muss man sich durchbeißen!“ Das wird uns schon in der Schule beigebracht. Wäre es nicht viel angenehmer in einem gelassenen und entspannten Zustand alle Probleme und Konflikte mit Mut, Stärke und Selbstvertrauen, königlich wie ein Löwe anzugehen?
Nehmen wir uns doch den gähnenden Löwen als Vorbild….
Was hat die Liebscher-Bracht Methode zum Thema Kiefer zu bieten?
Die Liebscher-Bracht Methode bezieht sich hauptsächlich auf körperliche Wirkungen. Bei Schmerzen im Kieferbereich oder wenn du Schwierigkeiten beim Zahnarzt hast den Mund entspannt weit zu öffnen, empfiehlt es sich diesen Bereich zu dehnen. Es gibt 2 Richtungen, die mit dem Unterkiefergelenk möglich sind und die eine Kaubewegung ermöglichen. Hier beschränke ich mich hier auf die Öffnung des Mundes und beschreibe dir eine Übung, die du gleich ausprobieren kannst.
Es wurde von Liebscher-Bracht ein Hilfsmittel, der sog. Kieferretter, entwickelt, der höhenverstellbar ist und eine Unterstützung bei der passiven Dehnung bietet. Ein Korken geht auch, ist aber nicht individuell anpassbar. Ich möchte dir hier die Variante beschreiben, die du auch ohne Hilfsmittel leicht machen kannst.
Kiefer-Übung nach Liebscher und Bracht
- Öffne deinen Mund behutsam so weit wie möglich und neige den Kopf leicht nach hinten.
- Lege den Daumenwinkel einer Hand an dein Kinn und ziehe das Kinn mit der Hand nach unten.
- Halte mit der freien Hand an der Stirn etwas dagegen, um den Kopf zu stabilisieren.
- Mit jeder Ausatmung steigere den Öffnungswinkel über 3 Atemzüge.
- Halte das Kinn unten, während du über einen Atemzug deinen Mund mit viel Kraft gegen die haltende Hand am Kinn in Schließrichtung spannst. Dabei darf der Öffnungswinkel nicht kleiner werden. Behutsam die Kraft wieder lösen und weiter in die Dehnung gehen für 2 Atemzüge. Wiederhole diesen Schritt noch ein oder zweimal.
- Dann löse deine Hände und öffne deinen Mund noch weiter über einen Atemzug aus eigener Kraft so weit wie möglich.
Was sind die Vorteile der isometrischen Anspannungen während die Muskeln gedehnt werden bei der Liebscher-Bracht Methode?
Schmerzlinderung: Isometrische Übungen können helfen, muskuläre Dysbalancen und Verspannungen zu reduzieren, was oft zu einer signifikanten Linderung von Schmerzen führt. Die Liebscher & Bracht Methode zielt darauf ab, myofasziale Engpässe zu lösen, die häufig die Ursache chronischer Schmerzen sind. Probleme beim Öffnen des Mundes wie Gähnen, Sprechen, Lachen, Abbeißen oder Kauen, Kiefergelenkgeräusche (Knacken, Reiben) bei Bewegungen des Unterkiefers, Myofasziale Schmerzen im Kiefer-, Gesichts-, Schläfen- und Ohrbereich, plötzlich in die Wange und den Unterkiefer ausstrahlende Nervenschmerzen, chronische, als dumpf empfundene Gesichtsschmerzen, dauerhaftes Verschieben des Kiefers (Fehlbiss), Schmerzen vor allem bei Bewegungen des Unterkiefers und Druckempfindlichkeit im Bereich der Kiefergelenke und/oder der Kiefermuskeln bzw. deren Sehnen. Innere Anspannung und Stress können Zähneknirschen oder -pressen verursachen und sogar bis hin zu Kopfschmerzen führen.
Verbesserte Muskelstärke: Durch das Halten einer statischen Position wird Muskelkraft ohne Bewegung der Gelenke aufgebaut. Dies kann besonders vorteilhaft sein für Menschen, die Gelenkschmerzen oder Verletzungen haben, da die Gelenke nicht belastet werden. In Kombination mit einer Dehnung werden Übungen zu einem schonenden Krafttraining, welches wiederum zu Stabilität und Kontrolleführt.
Stabilität und Kontrolle: Isometrische Anspannungen fördern die Stabilität und Kontrolle über die Muskulatur, da die Muskeln kontinuierlich angespannt werden müssen, um die Position zu halten. Dies kann zu einer besseren Gelenkstabilität und einer verbesserten Körperhaltung führen.
Durchblutungsförderung: Diese Übungen fördern die Durchblutung und den Stoffwechsel in den betroffenen Muskelgruppen und Faszien, was die Heilung und Regeneration unterstützt.
Einfache Durchführung: Isometrische Übungen können überall und ohne spezielle Ausrüstung durchgeführt werden, was sie sehr praktisch und zugänglich macht.
Präzise Steuerung: Durch die gezielte Anspannung und Entspannung von Muskelgruppen können spezifische Problembereiche präzise angesprochen und behandelt werden.
Training für das Gehirn: Die präzise Steuerung der Muskelanspannung und -entspannung aktiviert nicht nur die Muskulatur, sondern auch das Gehirn. Durch die bewusste Ausführung der Übungen werden neuronale Verbindungen gestärkt, was zur Verbesserung der motorischen Kontrolle und Koordination beiträgt. Dies kann auch positive Effekte auf die Fähigkeit des Gehirns sich selbst zu reorganisieren und neue neuronale Verbindungen zu bilden.
Osteopressur Selbsthilfe-Punkt Kiefer nach Liebscher und Bracht
Es gibt viele Osteopressurpunkte am Kopf, die bei diversen Beschwerden Linderung bringen.
Einen wunderbaren Selbsthilfe-Punkt, um deinen Kiefer zu entspannen, möchte ich mit dir teilen. Du kannst diesen Punkt finden, indem du mit deinen Fingern die untere Knochenkante am Unterkiefer entlang tastest bis zu dem Knick. Genau dort drücke mit mit der Kuppe deines Zeigefingers auf die Knochenfläche knapp an der Kante. Drücke diesen Punkt bis du an die Obergrenze deines Schmerzempfindens gelangst für ca. 2 Minuten. Ein leichtes Lächeln sollte auch bei diesem Punkt möglich sein : ) sonst bist du zu weit gegangen!
Faszien-Rollmassage
Außerdem kannst du diesen eben beschriebenen Punkt mit der kleinen Faszienkugel oder einem Tennisball sehr gut abrollen oder auch genau auf dem Punkt bleiben bis der Schmerz nachlässt, dann bewege die Kugel in kleinen Spiralen ganz langsam weiter und rolle deinen gesamten Unterkieferbereich ab. Die Muskeln und Faszien freuen sich darüber, werden glatt und geschmeidig. Probiere es gleich aus.
Stelle dir nun vor Simhāsana und die Kieferübung miteinander zu kombinieren. Wie du es genau ausführst überlasse ich deiner Phantasie und Gestaltung. Auf jeden Fall erhältst du ein kraftvolles Werkzeug, um deine inneren Dämonen wie Hiranyakashipu königlich und tapfer in die Flucht zu schlagen. Die Qualitäten Mut, Selbstvertrauen und Stärke werden sich bei dir sehr wohlfühlen.
Auch dein Zahnarzt wird sich freuen, wenn du deinen Mund so entspannt weit öffnen kannst : )
Dieser Artikel wurde veröffentlicht in der Fachzeitschrift des BDYoga, dem Berufsverband deutscher Yogalehrenden.
Deutsches Yoga-Forum Heft 05/2024
Zu der Geschichte in diesem Artikel sowie zu weiteren Geschichten gibt es Videos auf Youtube unter Die.Lichtnetzweberin oder schaue es gleich hier…
Cora Piyusha Welsch ist Yogalehrerin BDY/EYU, Bewegungslehrerin und Schmerzspezialistin nach Liebscher & Bracht, Mediale Beraterin. Sie unterstützt Menschen, frei zu werden von Schmerz und Angst, sowohl auf der körperlichen als auch der mentalen und energetischen Ebene. Dazu entwickelte sie auch spezielle Online-Kurse und gibt Seminare in Michelstadt. www.welsch-yoga.de