„Der Schmerz ist mein Meister!“ Vielleicht erinnerst Du Dich noch an diese Schlagzeile in der Zeitschrift GEO. Es wurde darin über die Arbeit von B. K. S. Iyengar berichtet. Das muss circa 30 Jahre her sein. Ich erinnere mich noch genau, denn es war während meiner Ausbildung zur Yogalehrerin. Damals wurde dieser Artikel in der Yoga-Szene heiß diskutiert und interpretiert. Muss Yoga wehtun, damit er wirkt? Auch ich hatte mir damals so meine Gedanken dazu gemacht und hatte das Gefühl, dass da noch etwas anderes hinter steckte, ein tieferer Sinn, den ich damals aber noch nicht greifen konnte. Erst viele, viele Jahre später sollte ich den tieferen Sinn begreifen.
Durch einen Autounfall, bei dem ich mir zwei Wirbelbrüche zuzog, wurde mein Leben 2016 buchstäblich auf den Kopf gestellt. Ich entschied mich für die konventionelle Behandlung ohne OP. Das bedeutete mindestens sechs Wochen Korsett tragen und abwechselnd spazieren gehen und wieder flachliegen und so wenig wie möglich Sitzen. Durch meine langjährige Viniyoga-Praxis war meine Rückenmuskulatur bis dahin sehr stark und mein ganzer Körper sehr beweglich. Ich verspürte kaum Schmerzen und nahm meine Arbeit viel zu früh wieder auf. Weil ich dabei viele schwere Kanister bewegen musste, bekam ich Schmerzen. Meine wiederaufgenommene Yoga-Praxis half dabei aber nicht zufriedenstellend. Nachdem ein altes Schulterproblem und neue Schmerzen in der Hüfte auftraten, entschied ich mich für Physiotherapie. Nach einem Jahr Physiotherapie besuchte ich ohne Erfolg eine Reha-Klinik.
Durch meine Freundin erfuhr ich von einer Methode, die sie selbst auch praktizierte. Nach anfänglicher Skepsis fand ich im Internet einige Hinweise, die ich gleich ausprobierte. Weil derzeit auch noch akute Knieprobleme im Vordergrund standen, begann ich dreimal täglich circa eine halbe Stunde diese intensiv zu behandeln. Weil mich die Ergebnisse überzeugten, beschloss die Ausbildung zur Schmerzspezialistin bei Liebscher & Bracht zu machen. Die Ausbildung war für mich ohne medizinisch-therapeutischen Hintergrund eine Herausforderung. Aber ich absolvierte auch noch die Ausbildung zur „Liebscher & Bracht-Bewegungslehrerin“, die „Fayo Ausbildung“ und besuchte über zwei Jahre lang die Intensiv-Fortbildungen. Seit 2018 wende ich die Methode bei KlientInnen an. Das Zitat von B. K. S. Iyengar. „Der Schmerz ist mein Meister!“, kam mir während dieser Weiterbildungen immer wieder ins Gedächtnis und ich fand schließlich meine eigene Interpretation dazu. Denn wenn ich bei Dehnungen oder Osteopressur-Anwendungen gelernt habe, meine ganz persönliche Schmerzobergrenze zu erkennen und nicht mehr diese Grenze zu überschreiten, tue ich meinem Körper etwas Gutes und schade ihm nicht. Dann ist der Schmerz mein Meister, der mich immer richtig berät.
Die Liebscher & Bracht-Methode in Verbindung mit Yoga
Zuerst führte ich parallel zu meinem Yoga-Kurs reine Bewegungskurse nach Liebscher & Bracht durch. Ich leitete die Übungen strikt nach der Vorgabe und auch in der sportlichen Art und Weise an, wie ich sie in der Ausbildung gelernt hatte. Ein großer Teil der Stunde bestand aus Faszienrollmassagen. Die Übungen stellte ich vorher zusammen und sie deckten allgemeine Bedürfnisse der Teilnehmenden ab. Doch während der Coronazeit fasste ich beide Gruppen in ein gemeinsames Onlineangebot zusammen und die beiden Methoden wuchsen mehr und mehr zusammen, ohne dass die Prinzipien der einen
oder anderen Methode angetastet wurden, sondern einen ganz einzigartigen Charakter bekamen. Spirit und Atmung fanden den Weg wieder in meinem Unterricht, da ich nicht mehr auf die Uhr schaute, um die Übungslängen zu messen. Mein Maß waren wieder die Atemzüge. Auch stimmte ich die Übungen wieder auf die individuellen körperlichen Bedürfnisse der Teilnehmenden ab. Denn Yoga ist für mich das Anpassen der Übung für den jeweiligen Menschen und nicht umgekehrt. In mir entstand der Wunsch, mein Wissen auch an andere Yogalehrende weiterzugeben.
Was ist der große Nutzen, den Yogalehrende aus der Liebscher & Bracht-Methode ziehen können?
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- Ganzheitlicher Ansatz: Die Liebscher & Bracht-Methode ermöglicht Yogalehrenden einen zusätzlichen, ganzheitlichen Ansatz zur Körperarbeit. Sie hilft, Wege zu finden, den gesamten Körper zu schulen und zu stärken.
- Schmerzmanagement: Yogalehrende können die Methode nutzen, um ihre eigenen Schmerzen zu behandeln und gleichzeitig ihren SchülerInnen effektive Techniken beizubringen, um mit Schmerzen umzugehen ohne zu therapieren.
- Integration in den eigenen Yoga-Stil: Die Liebscher & Bracht-Methode lässt sich gut in verschiedene Yoga-Stile integrieren, ohne dass Yogalehrende ihren individuellen Stil aufgeben müssen. So können sie die Vorteile der Methode nutzen, ohne ihren eigenen Ansatz zu verlieren.
- Präzise Anleitung: Die Methode ermöglicht es Yogalehrenden, präzise Anleitungen zu geben, ohne dabei therapeutisch auf schmerzhafte Symptome einwirken zu müssen. Dies fördert ein genaues Verständnis der eigenen Körperarbeit bei den Teilnehmenden.
- Individuelle Anpassung: Die Methode erweitert die Möglichkeiten von Yogalehrenden, sich auf die individuellen Bedürfnisse ihrer SchülerInnen einzustellen.
- Förderung von Körperbewusstsein: Die Methode trägt dazu bei, das Körperbewusstsein zu stärken, sowohl bei den Yogalehrenden selbst als auch bei ihren SchülerInnen. Dies kann zu einer verbesserten Ausrichtung und einer bewussteren Körperpraxis führen.
- Nachhaltigkeit: Die Liebscher & Bracht-Methode kann eine nachhaltige, schmerzfreie Körperbewegung fördern. Yogalehrende können sie in ihre Praxis integrieren, um langfristig positive Veränderungen bei sich selbst und ihren SchülerInnen zu unterstützen.
- Erweiterte Fachkenntnisse: Die Auseinandersetzung mit der Liebscher & Bracht Methode erweitert die Fachkenntnisse von Yogalehrenden im Bereich Körperarbeit und ermöglicht ihnen eine breitere Perspektive auf die Anatomie und Funktionsweise des Körpers.
- Ganzheitlicher Ansatz: Die Liebscher & Bracht-Methode ermöglicht Yogalehrenden einen zusätzlichen, ganzheitlichen Ansatz zur Körperarbeit. Sie hilft, Wege zu finden, den gesamten Körper zu schulen und zu stärken.
Ein Beispiel aus dem Gruppenunterricht
Stell dir vor, es kommt eine neue Teilnehmerin, nennen wir sie Irmgard, mit starken Knieschmerzen in deinen Kurs. Schulmedizinisch wurde eine Arthrose festgestellt. Irmgard ist nicht in der Lage beide Knie mehr als 90 Grad zu beugen, laufen ist schmerzhaft und sie kann sich nicht auf die Yoga-Matte legen und somit auch eine Übung wie den Fersensitz nicht ausführen. Eine Möglichkeit wäre, dass sich Ingrid auf einen Stuhl statt auf die Matte setzt und wir ihr alternative Übungen geben. Bei der Liebscher & Bracht-Methode wird im Fall von Irmgard zunächst mit zwei speziellen sogenannten Engpassdehnungen gearbeitet, bei denen in der Dehnung auch noch gekräftigt wird. Die Übungen müssen individuell auf ihre Fähigkeiten angepasst werden, da sie nicht auf dem Boden sitzen oder liegen kann. Ein Gurt oder ein Gürtel wird ebenfalls als Hilfsmittel eingesetzt.
Die folgende Variante wäre eine Möglichkeit, die Du gleich selber ausprobieren kannst. Setze Dich auf einen Stuhl, strecke ein Bein ganz durch oder so weit, wie Du es strecken kannst, wenn die Ferse den Boden berührt und die Zehen herangezogen sind. Beuge Dich mit einer Ausatmung nach vorne, benutze einen Gurt, den Du um den Fußballen legst und die beiden Enden greifst. Ziehe nun mit jeder weiteren Ausatmung den Fußballen und die Zehen zu Dir, so dass die Waden, Kniekehle, Gesäßmuskeln und die Körperrückseite so weit wie möglich gedehnt werden. Mache das über drei bis vier Atemzüge. Dann folgt eine isometrische Anspannung. Drücke dazu ganz fest mit dem Fuß gegen die Schlaufe, an der du kräftig mit den Händen ziehst. Mache das über zwei Atemzüge, löse die Anspannung wieder langsam, aber gehe nicht aus der Haltung heraus, und fühle was geschieht. Vielleicht merkst Du, dass Du nun noch weiter in die Dehnung reingehen kannst. Wiederhole die Anspannung noch ein zweites Mal und danach noch drei Atemzüge dehnen. Danach stelle Deine Füße nebeneinander und vergleiche Deine beiden Körperseiten. Danach wiederhole das auch auf der anderen Seite.
Für zu Hause bekommt Irmgard die Aufgabe, sich die schmerzhaften Körperstellen mit einer kleinen Faszienrolle intensiv auszurollen, möglichst täglich, damit die Lymphflüssigkeit in Bewegung kommt und die Verfilzungen des Fasziengewebes geglättet und dadurch elastischer werden. Auch die Osteopressur kann man bei vielen der insgesamt 72 Osteopressur-Punkte mit entsprechender Anleitung und Übung gut bei sich selber anwenden und trägt dadurch einen Selbsthilfe-Werkzeugkoffer ständig bei sich. Dazu ein Beispiel mit einer kleinen Faszienkugel oder einem Tennisball: Setz Dich auf einen Stuhl, stelle einen Fuß etwas nach vorne. Miss mit Deinen Händen etwa die Hälfte zwischen Deiner Kniescheibe und Deinem Hüftknochen ab, so dass du etwa die Mitte deines Oberschenkels lokalisierst. Dort lege den Tennisball auf und drücke mit beiden Händen den Ball in den Oberschenkel. Du findest dort eine besonders schmerzhafte Stelle. Rolle in winzigen Spiralen ganz langsam diese Stelle für circa zwei Minuten. Danach gehe in eine Haltung, bei der beide Knie gebeugt werden, wie zum Beispiel den Fersensitz, und fühle den Unterschied zwischen beiden Seiten.
Es ist durchaus möglich, eine Teilnehmerin wie Irmgard in den Gruppenunterricht zu integrieren und im Gruppenunterricht zu begleiten. Die Erfahrungen der anderen Kursteilnehmenden helfen, die Motivation zu fördern. Das Thema Knie betrifft meistens viele Teilnehmende und würde dann ein großer Bestandteil der Kursstunden, in vielen Facetten beleuchtet mit einer Mischung aus größtenteils Körperübungen, ein bis zwei Rollmassagen und einem Selbsthilfe-Osteopressurpunkt, ohne dass die anderen Körperbereiche und Bedürfnisse der anderen Teilnehmenden zu kurz kommen. Außerdem fehlt es auch nicht an Entspannung. Tipps zum Zuhause Üben gebe ich auch mit.
Dieser Artikel wurde veröffentlicht in der Fachzeitschrift des BDYoga, dem Berufsverband deutscher Yogalehrenden.
Deutsches Yoga-Forum Heft 01/2024
CORA PIYUSHA WELSCH
ist Yogalehrerin BDY/EYU, Bewegungslehrerin und Schmerzspezialistin nach Liebscher & Bracht, Mediale Beraterin. Sie unterstützt Menschen, frei zu werden von Schmerz und Angst, sowohl auf der körperlichen, als auch der mentalen und energetischen Ebene. Dazu entwickelte sie auch einen speziellen Online-Kurs und gibt Seminare in Michelstadt. www.welsch-yoga.de